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24h-Lauf in Taipeh 2016

Die Geschichte zu meinem Start bei der 16. Auflage des 24h-Laufs der Soochow University in Taipeh ist relativ schnell erzählt: Anreise nach guter, aber in diesem Jahr alles andere als einfacher Vorbereitung – am Abend vor dem Rennen leichtes Kratzen im Hals – hoffen auf Fehlalarm und lediglich Einbildungssymptome im Zuge der Vorwettkampfanspannung – Kraftlosigkeit ganz früh im Rennen – Rennunterbrechung – Rückkehr auf die Strecke – Ergebnis von 100 Meilen nicht wirklich brauchbar.

So sieht es hier normalerweise aus

So sieht es hier normalerweise aus…


Wer keine Zeit oder einfach keine Lust auf einen langen Rennbericht hat, darf an dieser Stelle gerne aussteigen, denn mehr Fakten und von einem dramatischen Wettkampfverlauf habe ich diesmal nicht zu berichten. Alle anderen lade ich ein, bei meinen Gedanken und meiner Selbstreflexion teilzuhaben.

Rein objektiv gesehen gibt es eigentlich keinen Grund enttäuscht zu sein, denn noch vor einigen Monaten habe ich die Laufsaison 2016 bereits abgehakt, was nach dem Wahnsinnsjahr 2015 auch ok für mich war. Aber klar,… wenn Du hart trainierst und mit gewissen Erwartungen zu solch einem Rennen reist, dann fällt es wenige Tage nach dem Wettkampf etwas schwer, die Dinge so nüchtern zu betrachten.

Im August habe ich wie in den letzten beiden Jahren erneut eine Einladung für den 24h-Lauf in Taipeh erhalten. Auch wenn ich 2016 wie gesagt schon zu den Akten gelegt hatte, entschied ich mich nach ein paar Tagen Bedenkzeit doch für einen Start in Taiwan. Ein Lauf ganz am Ende des Jahres – das sollte ich doch noch irgendwie hinbekommen. Die Wochen der Vorbereitung verliefen dann doch sehr gut und auch die Leistungsdiagnostik bei Lauffieber in Aschaffenburg, sowie der letzte lange Lauf über 76 Kilometer stimmten mich optimistisch. Ich war auf jeden Fall schon mal froh, als die eigentliche Vorbereitung zwei Wochen vor der Rennen zu Ende ging, denn diesmal waren echt einige ziemlich widerliche Trainingsläufe, mit kaltem Regen und / oder Wind dabei, die nicht gerade unter die Kategorie „Genusslauf“ zu verbuchen sind.

Erst am Mittwoch vor dem Rennen bin ich, in Begleitung meiner Partnerin Nicole, in Richtung Asien abgereist. Die Abreise erfolgte bewusst erst relativ knapp vor dem Rennen, da ich von meinem spektakulären Rennen im Jahre 2014 wusste, dass so ein kleiner Jetlag im 24h-Lauf durchaus gar nicht so schlecht sein muss. 2014 hat es sich nicht anders organisieren lassen, doch die kurzfristige Anreise, verbunden mit einem noch nicht an die Ortszeit angepassten Biorhythmus hat dafür gesorgt, dass ich mich damals in den Nachtstunden wirklich bärenstark gefühlt habe. In diesem Jahr haben wir uns über eine Flugverbindung mit einer Zwischenlandung in Dubai entschieden – und genau da liegt wohl der Hund begraben, was mein Wettkampfergebnis betrifft.

Der Tag vor dem Rennen war dann doch noch einigermaßen vollgepackt – vormittags stand eine Interviewrunde

Anspannung kurz vor dem Start. Links der amtierende Spartathlonsieger Andrzei Radzikowski (Polen), in der Bildmitte Weltrekordhalterin Mami Kudo (Japan)

Anspannung kurz vor dem Start. Links der amtierende Spartathlonsieger Andrzei Radzikowski (Polen), in der Bildmitte Weltrekordhalterin Mami Kudo (Japan)


zusammen mit den anderen internationalen eingeladenen Läufern, wie Katalin Nagy (USA), Andrzej Radzikowski (Polen) und Yoshikazu Hara (Japan) auf der Agenda. Später ging es dann noch zur Opening Ceremony, zum Technical Meeting und abends zum Welcome Dinner. Während des Welcome Dinners konnte ich ein wirklich ganz leichtes Kratzen im Hals ausmachen. Wenn ich ehrlich bin, hatte ich eigentlich schon den ganzen Tag so ein komisches Gefühl im hintersten Bereich des Gaumens, so richtig Sorgen hat mir das aber tagsüber noch nicht bereitet, denn kurz nach der Ankunft hatte ich mir beim Verzehr einer Süßkartoffel inklusive Schale eben mit dieser ganz leicht den Gaumen angeritzt. Ich bin, auch unter der Ablenkung des Tagesprogramms, davon ausgegangen, dass das ungute Gefühl einfach durch das Ausstrahlen der „Gaumenverletzung“ zu erklären ist. Jetzt am Vorabend des Wettkampfs wurde ich aber echt richtig nervös, denn irgendwie hat sich das schon komisch angefühlt – dementsprechend ging es auch mit der vollen Dröhnung Ingwertee zur Sache. Am nächsten Morgen hat sich das Ganze nicht wirklich schlechter angefühlt, aber es war auch weiterhin präsent. Gedanklich hat mich das Problem vor dem Rennen komplett eingenommen, an die große Glocke wollte ich es aber nicht hängen, lediglich Nicole wusste, wie es in mir aussieht. Auf der anderen Seite hab ich versucht mich zu beruhigen, in dem ich einfach darauf gehofft hab, dass es wirklich nur auf meine Gaumenentzündung zurückzuführen ist, bzw. ich mich einfach im Zuge der Wettkampfanspannung unnötig verrückt mache. Außerdem hab ich diese Situationen, in denen man sich vor lauter Anspannung selbst unnötig verrückt macht, schon oft erlebt. Vor der WM in Turin hatte ich einen riesigen Respekt vor den Birkenpollen, da ich da leider ziemlich allergisch bin, die WM für Mitte April angesetzt war und das zumindest in unseren Breiten die Hauptblütezeit dieses Gewächses darstellt. Im Vorfeld des Rennens habe ich mich damals sogar an einen Spezialisten der „Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forsten“ gewandt, um Infos über die Birkenpopulation rund um Turin rauszubekommen. Die Informationen, die ich damals erhalten habe waren im Übrigen wirklich super detailliert. Einen Tag vor dem Rennen habe ich meinen obligatorischen 2-km-Lauf gemacht und siehe da, beim Passieren eines Birkenbaumes musste ich zwei Mal nießen. Ich bin damals am Vorabend des Wettkampfs innerlich fast Amok gelaufen, weil ich tierische Angst hatte, dass mich die Allergie im Rennen ausbremsen wird. Man hört wenige Stunden vor einem wichtigen Rennen einfach mega-sensibel in den Körper rein – von daher habe ich gehofft, dass diesmal, ähnlich wie damals in Turin, einfach alles gut geht. Dementsprechend bin ich auch gestartet.

Mein Plan war es, mit der Pace von 4:54 min/km die ersten vier Stunden des Rennens zu bewältigen. Ich bin doch

An meiner Crew hat es definitiv nicht gelegen...

An meiner Crew hat es definitiv nicht gelegen…


etwas überrascht, dass ich schon nach noch nicht einmal einer Stunde die Führung des Rennens übernommen habe, obwohl mein Starttempo langsamer als bei den letzten 24h-Läufen gewesen war. Ehrlich gesagt war mir das auch nicht so wirklich recht gewesen, aber gut, ich bin halt nach meinem eigenen Plan gelaufen. Mit der Zeit hat sich dann auch etwas meine Sorge ob einer möglichen Erkältung etwas gelegt, bzw. ich hab irgendwann einfach nicht darüber nachgedacht. Letztendlich hatte ich ja hier auch einen Job zu erledigen – nämlich laufen! Und genau das mit dem Laufen wurde sehr schnell sehr kompliziert, denn schon nach 3,5 Stunden hab ich mich ziemlich kraftlos gefühlt. Ich habe noch drauf gehofft, dass das einfach nur dem Jetlag geschuldet ist, denn auch 2014 hatte ich sehr früh im Rennen einen ordentlichen Durchhänger – wobei natürlich 3,5 Stunden nicht als früh im Rennen zu bezeichnen ist, sondern in einem 24h-Lauf ist das bestenfalls als Vorspiel zu titulieren. Naja, ich habe jedenfalls versucht, mich irgendwie wieder aufzupäppeln, mit Kaffee, dann mit schnell verfügbaren Kohlenhydraten in Form von Spezi und auch das Tempo habe ich deutlich reduziert. Zu dem Zeitpunkt wusste ich eigentlich auch schon, dass irgendwas vorne und hinten überhaupt nicht stimmt am heutigen Tage. So früh solche Probleme – das habe ich noch nicht erlebt und es kann ja kaum sein, dass der Körper plötzlich alles verlernt hat, zumal die langen Trainingsläufe in der Vorbereitung ja auch unkompliziert verlaufen sind. Dennoch wollte ich es einfach nicht wahrhaben und hab auf die Karte „Zeit“ gesetzt, in der Hoffnung, dass sich mit zunehmender Dauer des Rennens doch noch irgendwas ändert. Zu dem Zeitpunkt habe ich für mich auch keine plausible Begründung gehabt, das mit einer möglichen Erkältung hatte ich zwar im Hinterkopf, aber ob es mich wirklich erwischt hat, konnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht 100%-ig bestätigen. Stattdessen hat sich mir sogar die Frage gestellt, ob ich mental heute einfach komplett neben der Spur bin, was natürlich auch Quatsch war. Mit der Zeit kamen dann auch Rückenprobleme mit hinzu – wahrscheinlich weil ich jetzt auch sehr verkrampft gelaufen bin. Wärmespray hat da wenigstens ganz gut geholfen. Mein Wille war zu dem Zeitpunkt immer noch nicht gebrochen – wobei was heißt zu dem Zeitpunkt – wir reden hier von einer Phase des Rennens, wo selbiges in der Regel noch nicht mal richtig begonnen hat. Bei Kilometer 97 kam es dann endgültig knüppeldick, denn von jetzt auf gleich überkam mich ein heftiger Würgreiz. Es ist zwar beim Reiz geblieben, aber so etwas habe ich in all meinen Ultraläufen in den letzten 13 Jahren noch nicht erlebt. Jetzt war mir auch endgültig klar – es macht keinen Sinn mehr, du bist komplett neben der Spur, ruh dich aus, die Messe ist für heute gelesen. Dementsprechend hab ich mich erstmal für eine halbe Stunde hingelegt und danach eine seeehr warme ausgiebige Dusche genossen. Klar war für mich aber auch zu dem Zeitpunkt, dass ich wieder auf die Strecke zurückkehren werde. Bei dieser Veranstaltung sind so unglaublich viele engagierte Volunteers und noch dazu ist es für mich eine Ehre, zu diesem Lauf eingeladen zu werden. Ich wollte die Leute nicht enttäuschen! Für sie ist sowieso nicht die Kilometerzahl entscheidend, sondern, dass man den Spirit „Ultra“ lebt – und zu dem Lebensgefühl gehört es meiner Meinung auch dazu, auch dann nicht den Kopf in den Sand zu stecken, wenn man nicht mehr mit einem Topergebnis rechnen kann. Außerdem hasse ich Aussteigen wie die Pest ;). Klar, im Nachhinein hätte ich mir das sicherlich schenken können, aber

Wanderung durch die Nacht.

Wanderung durch die Nacht.


mit dem Wissen zu dem Zeitpunkt, würde ich wieder dieselbe Entscheidung treffen.  Also habe ich mir ein neues Ziel ausgedacht, nämlich wenigstens die 100 Meilen vollzumachen – also genau die Distanz, die ich in meinem ersten 24h-Lauf vor über 11 Jahren auch gelaufen bin. Das war auch gleichzeitig eine gute Gelegenheit, ein wenig über die vergangenen Jahre nachzudenken, einen riesig großen Stress hatte ich ja jetzt nicht mehr, denn 64 Kilometer sollte ich mit einer Mischung aus Wandern und lockerem Jogging schon noch irgendwie hinbekommen.

Die Auflösung für diese nie dagewesene Schwäche so früh im Rennen habe ich dann kurze Zeit nach dem Wettkampf erfahren. Schon bei der Siegerehrung hatte ich Schweißausbrüche sondergleichen und ich bin richtig krank geworden. Im Nachhinein war es sicherlich nicht gut zu starten, geschweige denn bis zum Schluss im Rennen zu bleiben. Aber – ganz ehrlich, man hört super sensibel in den Körper hinein und dennoch war es mir nicht möglich, die Situation mit absoluter Sicherheit richtig zu interpretieren. Von daher würde ich, mit dem jeweiligen Wissen zu den verschiedenen Zeitpunkten, wie gesagt, wohl wieder die gleichen

Päuschen in der Schlussphase... kaum zu übersehen, ich bin nicht fit. Wir bleiben trotzdem stabil!

Päuschen in der Schlussphase… kaum zu übersehen, ich bin nicht fit. Wir bleiben trotzdem stabil!


Entscheidungen treffen. Ich bin mir im Übrigen mittlerweile ziemlich sicher, dass ich mir beim Umsteigen in Dubai was eingefangen hab. Die Klimaanlage im Bustransfer zum Terminal ist da wirklich auf „volles Rohr“ eingestellt gewesen. Mir war das gleich sehr ungeheuer und hab da auch sofort kleidungsmäßig gegengesteuert. Das würde auch genau passen – die letzten Jahre war ich so gut wie nie krank gewesen, lediglich nach den Spartathlons hat es mich zwei Mal erwischt und auch da war ich sehr stark den Klimaanlagen ausgesetzt. Dieses Aufdrehen bis zum geht nicht mehr der Klimaanlagen ist wirklich der letzte Mist. Da hilft dann halt auch die beste Ernährung wohl nix, rund um einen Hauptwettkampf ist man ja sowieso ganz besonders gefährdet.

Wie auch immer, es ist ärgerlich, aber eines darf ich nicht vergessen, auch wenn 2016 eine nicht ganz einfache Saison gewesen war: Nach meinem WM-Titel im letzten Jahr hab ich mir selbst auf die Fahne geschrieben „ALLES WAS JETZT NOCH KOMMT IST BONUS!“. An Tagen wie diesen ist es verlockend, das zu vergessen, genau das darf auf gar keinen Fall passieren!

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