Die Fakten:
Am Samstag, den 17.12.2022, gelang es mir beim Bahnlauf in Barcelona einen neuen deutschen Rekord im 12-h-Lauf zu erstellen. In den 12 Stunden erzielte ich ein Ergebnis von 152,6 Kilometern, was den zweiten Gesamtrang der Veranstaltung bedeutete. Der bis dato bestehende Rekord lag bei 151,5 km und wurde im Jahre 1990 von Richard Fröhlich aufgestellt. Somit konnte ich nach fast 33 Jahren den Rekord um etwas mehr als einen Kilometer überbieten (hier geht es zur ewigen dt. Bestenliste).
Die Vorgeschichte:
Die nackten Zahlen und Fakten lassen sich zugebenermaßen gut lesen, doch sagen sie nicht mal ansatzweise etwas über den Weg dorthin aus. Dieser Weg zum Wettkampf war für mich in diesem Fall nämlich auch etwas untypisch. Normalerweise plane ich sogenannte „A-Wettkämpfe“ immer weit im Voraus ein und Spontananmeldungen gibt es bei Läufen im dreistelligen Kilometerbereich eigentlich nie bei mir. Mit meinem Lauf in Bottrop im Mai wäre ich eigentlich sogar für die Europameisterschaft qualifiziert gewesen. Nach meiner doch mehrjährigen Abstinenz im wirklich ambitionierten Ultralauf war ich aber zum einen noch nicht bereit für einen Start in diesem Jahr und zum anderen passte mir der Termin wegen der Weinlese in meinem Weinprojekt nicht wirklich. So sagte ich frühzeitig dankend ab und visierte einen anderen langen Ultralauf zum Ende des Herbstes an. Auf Grund von Trainingsrückstand in den Sommermonaten verwarf ich diesen Gedanken mit der Zeit allerdings wieder. Auf der anderen Seite wollte ich nach dem Gewinn der 24-h-DM in der ersten Jahreshälfte auf jeden Fall noch einen zweiten Jahreshöhepunkt definiert haben. In erster Linie ging es mir bei der Planung um die langfristige Ausrichtung mit Blick auf das Jahr 2023. So entschied ich mich von meinem Metier der ganz langen Ultramarathons abzurücken und mittels des 12-h-Laufs in Barcelona eine Standortbestimmung zu generieren. Kaum hatte ich mich im September für den Lauf angemeldet, war das Training schon wieder unterbrochen. Ein richtig heftiger Infekt hat mich fast drei Wochen lang aus dem Training geworfen. Da rund um diese Zeit gleich mehrere Personen in meinem Umfeld Corona hatten, vermute ich rückblickend, dass auch mich dieser Virus damals erwischt hatte, obwohl meine Selbsttests immer ein negatives Ergebnis suggerierten. Zum Glück ging es aber dann zunehmend aufwärts im Trainingsprozess und trotz der durchwachsenen Monate Juli bis September konnte ich einen guten Formzuwachs feststellen, was mich positiv überraschte. Natürlich hatte ich die Kilometerzahl des Deutschen Rekordes gewusst, doch die Chance ihn zu knacken, stufte ich erst in den letzten beiden Wochen der eigentlichen Vorbereitung als zumindest halbwegs realistisch ein.
Die ersten Rennstunden:
Heilfroh war ich als das Rennen endlich starten sollte. Die letzten Tage vor dem Rennen
war gefühlt jeder erkältet und da hatte ich doch recht starke Bedenken mir auf dem letzten Drücker noch etwas einzufangen. Der Lauf ging für mich jedoch gleich schon mal nicht wirklich gut los, denn die ersten etwa 100 Meter verlor ich schon, bevor überhaupt der Startschuss ertönte. Mit all den Läufern über die verschiedenen Distanzen von Staffelwettbewerb bis hin zu den 24-h-Läufern, war es sehr voll und hektisch im Startbereich. Nach dem obligatorischen Gruppenfoto machten sich einige Läufer auf dem Weg, um auf Höhe der ersten Kurve der Leichtathletikbahn zu starten. Ich dachte zuerst es handelt sich um die Staffelläufer und bei den hauptsächlich spanischen Durchsagen, hatte ich und auch einige andere Läufer es wohl nicht mitbekommen, dass die 12-h-Läufer weiter vorne starten, was dann in der entsprechenden Rundenzählung verrechnet wird. Durch diesen Lapsus blieben meine ersten gut 100 m also nicht erfasst. Geht ja gut los.
Immerhin ging auch das Laufen an sich ganz gut los. Meine Marschroute war es gewesen, in der ersten Hälfte des Rennens 51 % der Distanz für den Deutschen Rekord zu absolvieren. Um am Ende eben die 151,5 km zu übertreffen, sollte ich dieser Rechnung zu Folge 77,2 km in den ersten sechs Stunden absolvieren, was wiederum
eine Pace von 4:39 min/km entspricht. Das Tempo hat sich relativ gut angefühlt und so fand ich schnell meinen Rhythmus. Im Vorfeld hatte ich etwas Sorge hinsichtlich der Überrundungsvorgänge auf der doch sehr vollen Bahn. Prinzipiell hat das aber eigentlich ganz gut geklappt und ich konnte die meiste Zeit mehr oder weniger auf der Ideallinie laufen. Der Streckensprecher verwies auch immer wieder auf das IAU-Reglement, wonach schnellere LäuferInnen vorbeizulassen sind. Auf der Bahn zu laufen ist bei Wettkämpfen schon echt eine feine Sache, da man doch recht gut seinen Stiefel runterlaufen kann, wenn der imaginäre Tempomat erst einmal eingestellt ist. Wichtig war es, im Eifer des Gefechts von Anfang an diszipliniert Energie nachzuschieben. Apropos Verpflegung: Auch dies war ein Aspekt, welcher mir im Vorfeld etwas Sorgen bereitete. Zum einen lag dies daran, dass ich ohne eigenen Betreuer angereist war. Zum anderen fehlte mir die Fantasie, wo man die Eigenversorgung abstellen kann, wenn man auf Bahn 4 und 5 am 12-h-Lauf teilnimmt, während sowohl auf den Außen- als auf den Innenbahnen andere Wettkämpfe stattfinden. Zu meiner Überraschung stellte der Veranstalter quasi in der Mitte der Bahn nochmal ein paar Tische auf, die wir 12-h-Läufer für unsere Eigenverpflegung nutzen konnten. Logistisch ist dieser Lauf echt eine Meisterleistung und es ist schon erstaunlich wie voll man eine Leichtathletikbahn packen kann – sowohl was Teilnehmende als auch Equipment betrifft – ohne dass das komplette Chaos ausbricht. Die ersten fünf Stunden liefen wunderbar unkompliziert.
Ein erster Durchhänger und der Glaube an ein erfolgreiches Gelingen:
Mehr und mehr habe ich der „Halbzeit“ bei sechs Stunden entgegengefiebert. Hierauf war mein erstes großes Zwischenziel ausgelegt und ich wusste, ab dem Zeitpunkt wird das Rennen erst richtig losgehen. Alle drei Stunden sollte die Richtung gewechselt werden, was insbesondere der einseitigen Beanspruchung entgegenwirkt und bei solch kurzen Runden eine sehr sinnvolle Maßnahme darstellt. Der Richtungswechsel zur Hälfte des Rennens war allerdings sehr hektisch, da im Rahmen dessen auch die exakte Distanz nach 6 h, inklusive Restmeter erfasst werden sollte. So erfolgte der eigentliche Richtungswechsel auch etwas vorgezogen nach gut 5:50 Stunden. Irgendwie hat mich das etwas aus dem Konzept gebracht und meinen Überblick über meine Pace durcheinander gewürfelt. Vom einen auf den anderen Moment fühlte ich mich plötzlich auch gar nicht gut. Ich hatte das Gefühl die Kräfte schwinden und eine dezente Übelkeit machte sich ebenfalls breit. Dem Verlangen nach Cola kam ich nach, auch wenn dies ein kurzes Stehenbleiben nötig machte, denn aus den Plastikbechern des Veranstalters schaffte ich es nicht im Laufen zu trinken. In dieser Phase befürchtete ich schon einen Einbruch, verbunden mit deutlicher Reduzierung des Tempos. Glücklicherweise hatte ich mich aber schnell wieder gefangen und konnte wieder zu meinem Anfangstempo zurückkehren. Mein Ziel war es nun, das Tempo so lange wie möglich zu halten, um noch etwas Puffer für die Schlussphase herauszulaufen. Jeden Kilometer, den ich weiterhin in etwa 4:40 min/km absolvieren konnte, feierte ich innerlich als Gewinn ab. Mit jeder absolvierten Runde wurde der Glaube an den Deutschen Rekord bestärkt. Mit jeder absolvierten Runde tropfte weiteres Öl in das lodernde Feuer der Motivation, welches in meinem Herzen tobte. Es war nun genau dieses Gefühl von früher, welches ich schon bei dem 24-h-Lauf in Bottrop wiederfand. Dieses Gefühl zu allem bereit zu sein, egal was in den nächsten Stunden auch noch kommen wird. Die Bereitschaft an die totale Schmerzgrenze zu gehen und das damit verbundene Gefühl mit stoischer Gleichgültigkeit zu akzeptieren.
Bis drei Stunden vor Schluss konnte ich immer noch weitestgehend das Anfangstempo laufen. Klar, der ein oder andere Kilometer mit etwas Verzug war dabei – vor allem dann wenn ich zur Cola gegriffen habe, was mich jedes Mal Zeit kostete, welche ich im Zuge der Erschöpfung nicht wieder reinholen konnte. Überhaupt empfand ich nun die Verpflegung als relativ anstrengend und ich musste mich zwingen, regelmäßig nachzuschieben. Zudem hätte ich gerne mal ein wenig Ordnung in meinen Verpflegungskarton gebracht. Durch die fehlende Möglichkeit des Anhaltens lagen alle Flaschen quer durcheinander und die Auswahl des Getränks glich im Vorbeilaufen nun eher einem Glücksspiel. Oder anders ausgedrückt ich hatte gar keinen Überblick mehr, wie viele Kohlenhydrate ich überhaupt zu mir nehme, da ich immer wieder eine andere Flasche im Vorbeilaufen erwischte.
Die Crunchtime:
Egal, es ging in die Crunchtime und da kommt dann sowieso irgendwann der Zeitpunkt, ab dem alles egal ist und Strategie und Planung mehr und mehr obsolet werden. Analog zum vorangegangenen Richtungswechsel bekam mir der letzte dieser Art ebenfalls nicht so wirklich gut. Erneut hatte ich das Gefühl, dass mir jetzt in jedem Moment der sprichwörtliche Stecker gezogen wird. Mit schwindender Konzentration fiel es mir auch schwer, einen Überblick zu behalten. Laut meiner Rundenzeiten war ich mir zwar sicher, voll im Soll zu sein, doch um mir einen echten Überblick zu verschaffen, fehlte mir ebenfalls die Zeit. Hier war mir Maria, die Lebensgefährtin von Jörn, der beim parallel stattfindenden 24-h-Lauf teilnahm, eine große Hilfe! Sie rief mir immer mal wieder meine Kilometerzahl zu, so dass ich mich diesbezüglich nicht ganz im Vakuum bewegte. Eine kleine Schrecksekunde gab es dann auch noch. Wieder einmal schüttete ich, quasi auf Ex und im Sturztrunk, einen Becher Cola in mich hinein. Doch diesmal kam es wie es kommen musste und ich hatte mich in so bitterböser Art und Weise verschluckt, dass ein Weiterlaufen für den Moment unmöglich erschien und ich anhalten musste. Sofort kamen zwei der 24-h-Läufer gerannt, während ich förmlich um Luft rang. Zum Glück hatte ich mich aber schnell gefangen und die Reisegeschwindigkeit konnte, zwar hustend, aber doch im zügigen Schritt, wieder aufgenommen werden. Innerlich war ich ständig am Rechnen. Immer wieder sagte ich mir selbst „das muss doch reichen“. Etwas reduzieren musste ich das Tempo mittlerweile aber schon, dafür war die Erschöpfung nun einfach zu groß. Wichtig war es mir, keine ganz großen Ausreißer in Sachen Rundenzeiten zu leisten – dann sollte das doch wirklich reichen, um die 151,5 km zu überbieten.
Je mehr es auf das Ende zuging, desto häufiger kam der Führende Gabriel Andrei Ailenei aus Rumänien an mir vorbeigeschossen. Er lief ein sensationelles Rennen und sollte letztendlich fast 161 Kilometer erreichen. Richtig hoch beschleunigt hätte ich zwar auch gerne nochmal, aber spätestens als es in die letzte Stunde ging, war mein imaginärer Akku doch schon sehr weit aufgebraucht. Das Atmen viel schwer und glich eher einem Hecheln. Ich weiß gar nicht wie viele Hütchen ich in dieser Phase umgerannt hatte, welche die einzelnen Laufveranstaltungen voneinander trennten. Konzentration und Koordination schwanden dahin. Die letzten 20 Minuten lief ich zusammen mit der Schweizerin Daniela Tarnutzer, die auch ein ganz hervorragendes Rennen gelaufen ist. Gut fünf Minuten vor Schluss rief mir Maria zu, dass der Rekord nun sicher ist und es jetzt um die Kür gehen wird. So richtige Freude kam in mir noch nicht auf, denn dafür war der Kampf nun zu groß. Die letzten Minuten zogen sich wie immer bei solchen Rennen wie Kaugummi dahin und ich konnte die Schlusssirene kaum erwarten. Nach genau 152,595 absolvierten Kilometern sollte diese dann endlich zu hören sein. Die Erschöpfung war nun riesig, die Freude jedoch ebenso. Ich hatte wirklich wieder alles gegeben, was sich insbesondere auch an meinem schlechten Zustand direkt nach dem Rennen zeigte.
Fazit:
Als ich mich zu dem Lauf angemeldet hatte, war meine Haupt-Intention, eigentlich „nur“ eine gute Standortbestimmung für das Jahr 2023. Insbesondere in Anbetracht einer doch relativ kurzen Vorbereitung bin ich mit dem Ergebnis total zufrieden. Mir zeigt die erlaufene Distanz vor allem auch, dass im Hinblick auf eine gutes 24-h-Lauf-Ergebnis in 2023 durchaus Potenzial besteht, sofern das Training gut verläuft. Mit einer längeren und noch gezielteren Vorbereitung sollte auch im 12-h-Lauf zukünftig noch ein klein wenig mehr möglich sein. Mal schauen, wann und ob ich diese Disziplin nochmal unter die Füße nehmen werde. Mal abgesehen von einem Start vor gut 15 Jahren, war das in Barcelona auch meine erste Teilnahme an einem 12-h-Lauf.
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