Reichenbach, Juni 2006: Überraschend wurde ich mit gerade einmal 205 Kilometern Deutscher Meister im 24-Stundenlauf. In den Wochen danach hatte ich mir als Ziel gesetzt, irgendwann einmal in der Weltspitze des 24-Stundenlaufs mitzulaufen. Wie so oft in meinem Leben…. ein maßlos überzogenes Ziel! Katowice, 7.9.12: Im Rahmen der Pressekonferenz fragt mich ein französischer Journalist, ob ich mich selbst als Favorit für den Gesamtsieg sehe. Das finde ich jetzt maßlos überzogen. 8.9.12, 11:50: Im Startbereich ist die Hölle los! Auf wenigen Quadratmetern tummeln sich fast 300 Läufer und all die vielen Betreuer. Ein Funktionär der IAU sagt irgendetwas durch, doch keiner hört wirklich zu. Wir als deutsches Team versuchen uns gemeinsam mit unseren Betreuern nochmal richtig zu pushen. 12:00-13:00: Meine Taktik für das Rennen ist ganz klar festgelegt. Für die ersten 12 Stunden habe ich mir 132 Kilometer vorgenommen. Das bedeutet, dass ich bei gleichmäßiger Einteilung ein Tempo von 5:27 min/km zu laufen habe. Im Vorfeld des Laufes hab ich lang überlegt, ob das nicht ein zu hohes Risiko ist, doch um eine realistische Chance auf das Traumergebnis „260 km“ zu haben, ist dieses Tempo nötig. Das Highlight der etwa 1,5 Kilometer langen Runde ist das Durchlaufen des Verpflegungszeltes, wo die Betreuer von insgesamt 35 Nationalteams die Versorgung ihrer Läufer vornehmen. Es ist hier so laut, dass man kaum sein eigenes Wort versteht und alles sehr eng, so dass man bei der Getränkeaufnahme aufpassen muss, nicht mit anderen Betreuern oder Läufern zu kollidieren. 13:00-18:00: Es ist unglaublich, mit welch hohem Tempo die meisten Läufer ins Rennen starten. Dadurch lasse ich mich aber nicht beirren und ziehe mein Ding durch. Ich fange erst gar nicht an, die Überrundungen durch andere Läufer zu zählen. 18:00-0:00: Mit einsetzender Dunkelheit werden einige Läufer deutlich langsamer. Auch ich muss aufpassen, dass ich meine Rundenzeit halte. In dunklen Lichtverhältnissen ist die gefühlte Geschwindigkeit höher und man neigt dazu, langsamer zu werden. Da ich jede Runde mit der Uhr stoppe, kann ich dem entgegenwirken. Ich freue mich schon auf die zweite Rennhälfte. Im Vorfeld des Rennens habe ich mir vorgenommen, die erste Hälfte nur als die Festlegung der Startaufstellung für das 12-Stunden-Rennen zu betrachten. Ab und an teilen mir unsere Betreuer die aktuelle Platzierung mit, wirklich interessieren tut es mich nicht. 0:00-6:00: Jetzt geht’s zur Sache! Genau auf diese Phase habe ich mich so lang gefreut. Es ist klar – wenn ich jetzt irgendwie die nächsten sechs Stunden das Tempo halten kann, bin ich vorne mit dabei und alles ist möglich. Jede Runde, die ich weiterhin im konstanten Tempo absolvieren kann, betrachte ich als kleinen Erfolg. Wie so oft sind diese Stunden genau „meine“ Zeit. Jetzt gilt es wirklich keine Zeit zu verlieren – die anstehende Pinkelpause wird verschoben, die Verpflegung gibt’s sowieso nur im Laufschritt. So langsam interessieren mich auch die Platzierungen. Es ist immer wieder erstaunlich, wie stark man sich mit einem konstanten Tempo in dieser Phase im Klassement verbessert. 6:00-8:00: So schnell kann es gehen: gerade noch unter ferner liefen und schon ist man voll im Kampf um die Platzierungen involviert. Irgendwann sehe ich den Topfavoriten auf den Europameisterschaftstitel, Ivan Cudin, nur noch gehen. Es liegen zwar immer noch vier oder fünf andere Läufer vor mir, doch schon jetzt wird mir klar, dass ich heute Europameister werden kann. Für die Weltmeisterschaftswertung liegen zusätzlich noch ein Japaner und der spätere Sieger Morton vor mir. Unsere Betreuer informieren mich jeweils über den vor mir liegenden Läufer und den jeweiligen Abstand. In dieser Phase geht wirklich alles ganz schnell. Lediglich der Japaner geht noch eine halbe Runde das Tempo mit. Als ich den Franzosen Ludovic Dilmi überhole, übernehme ich den zweiten Gesamtplatz und die Führung in der Europameisterschaftswertung. 8:00-12:00: Die kommenden Stunden sollen gefühlt die längsten meines Lebens werden. Selbst nach 20 Stunden bin ich immer noch in der Lage mein Anfangstempo zu laufen, allerdings fühle ich mich wie die mit 2:0 führende Fußballmannschaft, die ordentlich Beton anrührt und nur noch auf Konter lauert. Denn es ist klar, wenn der Amerikaner nicht noch einen Kompletteinbruch erleidet, ist der Zug „nach vorne“ abgefahren, doch meine aktuelle Platzierung möchte ich unbedingt verteidigen. Meinen Vorsprung konnte ich mittlerweile auf ein eigentlich beruhigendes Polster von über zwei Runden ausbauen, doch jeder der schon mal bei einem 24-Stundenlauf gewesen war, weiß wie unberechenbar diese Disziplin sein kann. So ziehen sich gefühlt Minuten wie Stunden. Etwa eine Stunde vor Schluss bekomme ich die Info, dass wir in der Mannschaftswertung nur ganz knapp hinter dem Team der USA liegen. Ich versuche, nochmal alle Kräfte zu mobilisieren. Nach zwei schnelleren Runden ist es aber klar, dass ich mein Pulver für den heutigen Tag endgültig verschossen habe. Die letzten 15 Minuten schleppe ich mich nur noch irgendwie über die Strecke, wenigstens kann ich noch im Laufschritt bleiben, so dass ich in dieser Phase lediglich ein paar hundert Meter verliere. Mit dem Schlusspfiff bin ich einfach unglaublich froh, endlich liegen zu können. Vizeweltmeister und Europameister – das kommt sowieso noch nicht in meinem Kopf an. Dass es am Schluss sogar tatsächlich noch als „I-Tüpfelchen“ für den ersten Platz in der Mannschaftswertung gereicht hat, macht das Ganze noch surrealer für mich. Nach dem Lauf bin ich nicht mal mehr in der Lage selbstständig zu gehen. Das zeigt, ich habe wirklich alles gegeben. So werde ich auf dem Stuhl sitzend zur Dopingkontrolle etc. getragen. Leider war die Organisation des Veranstalters nach Wettkampfende eine Katastrophe! So wurde die Siegerehrung kurzer Hand vom eigentlichen Austragungsort ins mehrere Kilometer entfernte Athletes‘ Village verlegt. Diese fand dann auch nur in improvisierter Form, ohne Hymnen, statt. Auf der anderen Seite war ich ganz froh, so nicht kurz nach dem Wettkampf allzu lange auf dem Treppchen stehen zu müssen. Mein Dank gilt dem gesamten deutschen Team inklusive all unseren Betreuern. Wir waren wirklich eine super Truppe und wurden alle vom Teamspirit gepusht. Danke auch an die Stuhlträger nach dem Lauf; hoffe der Muskelkater in den Armen ist verheilt.
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