Das Jahr 2022 war für mich zweifelsohne so etwas wie ein Comeback im leistungsambitionierten Ultramarathon. Den Sieg bei der Deutschen Meisterschaft im 24-h-Lauf im Mai konnte man eventuell noch als „Strohfeuer“ verbuchen, denn ehrlich gesagt wollte ich auch für mich selbst im Nachgang erstmal Klarheit finden, ob ich wirklich bereit bin, diesen Weg noch einmal in aller Konsequenz zu gehen. Da ich nur sehr ungern halbe Sachen mache, war es mir wichtig, das gut zu durchdenken. Spätestens die Vorbereitung auf den 12-h-Lauf in Barcelona im Dezember 2022 und natürlich das Ergebnis mit Verbesserung des 32 Jahre alten Deutschen Rekords in eben dieser Disziplin hat aber dann Eindeutigkeit verschafft – das Jahr 2022 war mein Comeback im leistungsmäßigen Ultramarathon!
Da ich in den letzten Wochen recht häufig danach gefragt wurde, möchte ich in diesem Artikel allen einen Einblick geben in meine Gedankenwelt. Warum habe ich mich im Jahr 2018 überhaupt für einen Rückzug vom umfangreichen Training entschieden und was sind die Gründe, warum ich es mit Beginn des Jahres 2022 doch wieder mit entsprechenden Ambitionen angegangen bin und auch in den folgenden Jahren diesem Weg treu bleiben werde?
Laufen macht natürlich in allererster Linie einfach Spaß. Wenn es aber rein um die Tätigkeit an sich geht, sind sicherlich keine 200 Wochenkilometer und mehr nötig, um meinen Bedarf zu stillen. Von daher will ich für mich selbst (genau wie in anderen Lebensbereichen auch) aufs Neue ausloten, mit welcher Herangehensweise ich diesen Sport betreiben möchte.
Warum habe ich temporär überhaupt das Training ab Oktober '18 heruntergefahren?
Eigentlich gibt es gar nicht den einen Punkt, sondern mehrere Aspekte. Gerade in den Jahren von 2012 bis Mitte 2017 war ich schon mit ziemlich umfangreichem Training unterwegs. Natürlich geht das nur dann, wenn man auch die entsprechenden Rahmenbedingungen hat. In dieser Zeit war ich zwar nie vollständiger Profi, jedoch hatte ich die Möglichkeit, mir die Zeit recht selbstbestimmt und frei einzuteilen. Als doch recht disziplinierter Mensch mit gutem Zeitmanagement hat das überhaupt erst ein gutes Training zugelassen. Ab 2017 hatte ich zunächst diese freie Zeiteinteilung nicht mehr zur Verfügung. Ganz früh vor einem Arbeitstag zu laufen, funktioniert bei mir leider überhaupt gar nicht und abends nach einem langen Tag hat dann auch nicht mehr wirklich den Trainingserfolg gebracht. Dementsprechend war das Training lange Zeit nicht mehr wirklich zielführend. Nicht falsch verstehen – in dem Falle geht es nicht primär, um möglichst viel Zeit für das Laufen, sondern die freie Zeiteinteilung ist der entscheidende Aspekt.
Zudem hatte auch mich 2016 nach vielen verletzungsfreien Jahren mal eine Verletzung erwischt. In den ersten beiden Jahren danach konnte ich erstmal nicht mehr so befreit laufen, denn da ist dann auch immer ein stückweit die Angst vor neuerlichen Verletzungen mitgelaufen. Da galt es erstmal wieder, Sicherheit zu gewinnen.
Hinzukam, dass ich nach vielen Jahren Ultramarathon schon auch ziemlich gesättigt war. Ich kann mich noch gut erinnern an einen 24-h-Lauf in Taiwan Ende 2017, bei dem es nicht so wirklich gut lief. Zwischendurch musste ich dementsprechend eine Zwangspause in der horizontalen Position einlegen. Ich kann mich noch sehr gut erinnern, dass ich selbst die klassischen Geräusche von einem 24-h-Lauf einfach nicht mehr hören wollte. Das Piepsen der Chipmatte, die Anfeuerungsrufe der Betreuer, die Schritte der Läufer – all das wurde mir nach vielen Jahren 24-h-Lauf einfach zuwider.
All diese Faktoren und vor allem die Tatsache, dass ich so meine eigenen Ansprüche nicht erfüllen kann, haben mich dann dazu bewogen, ab Oktober 2018 das Training drastisch herunterzufahren.
Halbe Sachen zu machen ist eigentlich nicht so mein Ding...
Natürlich wollte ich die Laufschuhe im Alter von gerade mal 34 Jahren nicht endgültig an den Nagel hängen. Für die nachfolgenden Jahre hatte ich dementsprechend zwei Vorhaben. Erstens das Thema Genusslauf in den Vordergrund stellen. Zweitens auch mal das ein oder andere für mich neue Laufformat ausprobieren, sowie auf nationaler Ebene an einzelnen Wettkämpfen teilnehmen, aber eben mit deutlich abgespeckter Vorbereitung.
Ich muss gestehen, so richtig abgeholt hat mich das Thema Genusslaufen nicht. Es fehlt einfach diese Spannung und der sprichwörtlich vibrierende Draht, welchen ich sonst von der Vorbereitung auf wichtige Wettkämpfe kenne. Das mit den Wettkampfteilnahmen war zugebenermaßen auch nur bedingt prickelnd, denn schlecht trainiert an der Startlinie zu stehen hat zur Folge, dass es während des Rennens in der Regel eine sehr zähe Angelegenheit werden kann.
Wenn ich ganz ehrlich zu mir selbst bin, dann gibt es bei mir eigentlich auch nur „ganz oder gar nicht“. Sodass mich dieser Mittelweg auch nicht so richtig vom Hocker gerissen hat.
Entscheidung für Comeback – lange gereift und Ende 2021 vollzogen
Warum habe ich mich dann für das Comeback entschieden? Einfach aus dem Bauch heraus werden solche Entscheidungen bei mir natürlich nicht getroffen, denn so Spaß wie das Laufen auch macht, muss man die Zeit ja doch an anderen Lebensbereichen abzwacken. Im Wesentlichem gibt es drei Gründe für meine Rückkehr in den ambitionierten Ultralauf.
1. Durch meine Erfahrung von gut 20 Jahren Ultramarathon habe ich ein ganz gutes Gefühl für meinen Körper entwickelt. So bin ich mir schon seit sehr langer Zeit recht sicher, dass die Leistungen von 2014 und 2015 noch nicht das Ende der Fahnenstange sein müssen. Mal ganz unabhängig von Platzierungen und Meisterschaften fehlt mir irgendwie noch so der eine perfekte Lauf. Meine Stärke ist zwar das konstante „Abliefern“, dann wenn es darauf ankommt, und prinzipiell ist mir die Leistungskonstanz auch mehr wert. Nichtsdestotrotz bin ich mir sicher, dass bei möglichst optimalem Training auch noch Leistungsentwicklungen nicht auszuschließen sind, obwohl ich schon lange im Ultralauf unterwegs bin. Meine Gedanken wurden auch durch die internationale Entwicklung im 24-h-Lauf unterstützt, wo insbesondere im Lebensalter um die 40 Jahre besonders gute Ergebnisse erzielt werden konnten.
2. Mittlerweile habe ich meine Hobbies zum Beruf gemacht. So habe ich meine Laufcoachings (fr-ultramarathoncoaching.de) weiter ausgeweitet und zudem vor ein paar Jahren ein kleines Weinprojekt (florian-reus-wein.de) gegründet. Bei dieser Selbständigkeit ist es zwar ganz sicher nicht mit dem klassischen „nine to five“ getan und Auszeiten durch Urlaub sind auch nicht ganz einfach zu realisieren. Nichtsdestotrotz bin ich selbst verantwortlich für mich, was mir eine flexibles Zeitmanagement erlaubt. So kann ich mein Training mittlerweile wieder deutlich besser in den Alltag integrieren.
3. Prinzipiell bin ich ein ziemlich reflektierter Mensch. Das genaue Abwägen ist zwar manchmal vorteilhaft, in anderen Situationen ist zu viel Nachdenken aber auch eher mal nachteilig. So denke ich schon sehr lange über die großen Fragen des Lebens nach und auch über Weichenstellungen in Bezug auf die anvisierte eigene Lebensführung wird manchmal zu viel durchdacht. Am 1.12.21 gab es für meine Familie und mich ein einschneidendes Erlebnis, indem mein Vater mit gerade einmal 69 Jahren für immer die Augen schloss. Das Leben hat mir auf diese Weise gezeigt, wie kurz unsere Zeit auf dieser Welt nur ist, und das alles auch ganz schnell vorbei sein kann. Zudem wurde mir an diesem Tag auch nochmal zusätzlich bewusst, wie wichtig es ist, seinen Träumen zu folgen und nicht immer nur rationell und nach pragmatischen Gesichtspunkten das Leben zu gestalten. Vielleicht mag es für Außenstehende nicht nachvollziehbar sein, solch einen Energieaufwand zu betreiben, für eine objektiv betrachtet sinnlose Sache wie einem guten Ultramarathon-Resultat. Doch am Ende des Lebens möchte ich zurückschauen und die Gewissheit haben, dass ich – natürlich im Einklang mit dem persönlichem Umfeld – mein Leben genau so gestaltet habe, wie ich es wollte. Ambitioniert Ultramarathon zu laufen ist in der aktuellen Lebensphase immer noch genau das, was meiner Passion entspricht und so habe ich mich im Dezember 2021 endgültig entschieden, es in 2022 nochmal richtig anzugehen.
Wie lange dieser Weg andauern wird, weiß ich ehrlich gesagt gerade noch gar nicht genau, aber aktuell bin ich einfach nur gespannt, wo mich die Reise in den nächsten Jahren noch hinführen wird.
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