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Weltmeister!!!

Reichenbach (Vogtland), der 25.6.2006: Während die deutsche Fußball-Nationalmannschaft im Achtelfinale der WM Schweden mit 2:0 besiegt, werde ich auf der alten, schwierigen Reichenbacher Strecke völlig überraschend Deutscher Meister im 24-h-Lauf. Im Alter von nur 22 Jahren bin ich sogar der jüngste 24-h-DM Sieger aller Zeiten. Bei

Gemeinsam mit dem Topfavoriten Hara Yoshikazu bei der Eröffnungsfeier

Gemeinsam mit dem Topfavoriten Hara Yoshikazu bei der Eröffnungsfeier


Marathon4You heißt es später: „…und im Laufe der Nacht lief immer mehr ein weitgehend unbekannter Läufer in den Vordergrund. Florian Reus aus Würzburg, noch in der Juniorenklasse startend, hatte letztes Jahr mit 139,7 Km noch nicht überzeugen können. Mittlerweile hat er über 100 Km eine Zeit von 8.38 Stunden stehen und lief extrem stark, als es ins letzte Viertel ging“. Spätestens nach diesem Lauf war mir klar, dass der 24-h-Lauf meine Disziplin ist! Ich weiß nicht, ob es gesundes Selbstbewusstsein war oder einfach nur Abgehobenheit nach den vielen Schulterklopfern, doch schon wenige Tage nach diesem damals sensationellen Erfolg fing ich an, mir „visionäre“ Gedanken zu machen, was ich denn in dieser Disziplin so alles erreichen könnte. Und ja… irgendwie strebt man als Leistungssportler doch immer nach Perfektion, so dass schnell der völlig unrealistische Traum WELTMEISTER im 24-h-Lauf geboren wurde, denn mehr wie Weltmeister geht einfach nicht, das ist in dieser Disziplin das Ende der Fahnenstange. Die andere Alternative zu diesem Ziel wäre für mich persönlich nur die Verbesserung des Deutschen Rekords gewesen. Turin, der 11.4.2015: Nach Wochen und Monaten der Vorbereitung ist es endlich soweit und ich stehe zusammen mit den anderen Läufern aus 41 Nationen an der Startlinie zur Welt- und Europameisterschaft. Nach dem zweiten Platz nach der WM’12 und dem dritten Platz bei der WM’13 gibt es für mich in Sachen Platzierung eigentlich nur DAS eine Ziel. Direkt vor einem Wettkampf macht es allerdings wenig Sinn, eine Platzierung als Zielvorgabe auszurufen, da man dies

In den ersten Stunden des Rennens

In den ersten Stunden des Rennens


ja nur bedingt beeinflussen kann. Dementsprechend setze ich mir direkt vor dem Wettkampf lieber ein Zeit- bzw. Kilometerziel. So peilte ich diesmal die Verbesserung des Deutschen Rekords (276,2 km) an – in der Hoffnung, dass dieses Ergebnis dann auch zum Titelgewinn langen würde. Nichtsdestotrotz ist der Druck (den ich mir vor allem selber mache) vor dem Lauf kaum auszuhalten. Da die WM neuerdings nur noch im 2-Jahres-Rhythmus ausgetragen wird, ist es fraglich, ob und wie viele Chancen ich noch auf den Titelgewinn bekommen werde. Denn… wer weiß was in zwei, möglicherweise sogar erst in 2,5 Jahren ist; vermutlich bin ich bis dahin mit meinem Studium fertig und wer weiß, ob sich meine akribische Wettkampfvorbereitung, dann neben dem Job noch in der jetzigen Form realisieren lässt. Entsprechend meiner hohen Ambitionen entschloss ich mich, hinsichtlich meiner Renntaktik ein kalkulierbares Risiko einzugehen. So war es mein Plan, die ersten 50 km in 4 Stunden zu bewältigen, sowie die 100-km-Marke in 8:10 Stunden zu passieren, um dann zur Halbzeit nach 12 Stunden im Idealfall 144 km auf der Habenseite verbuchen zu können. Die ersten Stunden fühlten sich richtig locker an, auch wenn ich lange Zeit Schwierigkeiten hatte, meinen Rhythmus zu finden, d. h. manche Runden waren viel zu schnell, andere dafür deutlich zu langsam. Durch die relativ hohe Anfangspace war ich nach etwa vier Stunden schon relativ weit vorne im Feld platziert und phasenweise auch vor einem der Topfavoriten, Ivan Cudin, wodurch ein paar Zweifel aufkamen, ob das Tempo nicht doch etwas zu mutig ist. Nichtsdestotrotz verlief mein Rennen bis Kilometer 100, die ich genau nach Plan in 8:11 Stunden passieren konnte, unspektakulär und genau so, wie ich es etliche Male im Kopf durchgespielt hatte. Allerdings war es nun an der Zeit, stockvoll in die erste heftige Krise reinzulaufen. Von Runde zu Runde merkte ich, wie sich mehr und mehr eine richtige Kraftlosigkeit in den Beinen einstellte und auch die Schrittlänge immer kürzer wurde. Ich versuchte zwar, dem Ganzen noch mit Anfersen entgegen zu steuern, doch jetzt galt es wirklich, ein paar kritische Stunden zu überstehen. Vom Allgemeinzustand fühlte ich mich zwar gar nicht mal sooo schlecht, aber muskulär war ich echt schon ziemlich platt. Ich denke, dass die steile Rampe vor allem durch das Bergablaufen ihren Tribut forderte, die warmen Temperaturen habe ich dagegen eigentlich ganz gut weggesteckt. Rückblickend glaube ich, dass ich aber genau in dieser Phase meine vielleicht mittlerweile größte Stärke ausgespielt habe. Während ich mich noch vor einigen Jahren in solchen kritischen Phasen doch ein klein wenig hängen lies, denn das ist dann extrem verlockend, gelingt es mir mittlerweile auf Grund meiner Erfahrung auch solche Tiefs mit einem möglichst geringen Zeitverlust zu überstehen. Nach 12h hatte ich dementsprechend 141,7 km erreicht, d. h. ich habe trotz der Probleme zwischen 100km und 12 Stunden lediglich 2,3 km auf meiner Marschroute verloren. Nichtsdestotrotz war mir aber spätestens jetzt klar, dass ich den Deutschen Rekord auf dieser Strecke vergessen sollte, da die Rampe uns Läufer so langsam aber sicher echt fertig machte. Mein Plan war es von nun an – ohne Uhr – einfach nur so gut zu laufen, wie es der Moment gerade erlaubt.

Verpflegungsaufnahme im "Schnelldurchlauf"

Verpflegungsaufnahme im „Schnelldurchlauf“


Irgendwann im Laufe der Zeit kam mir dann der Gedanke, dass ich die beiden Topfavoriten Hara Yoshikazu (Japan) und Ivan Cudin (Italien) schon seit einigen Stunden nicht mehr gesehen habe. Dementsprechend konnten die beiden auch nicht mehr so schnell unterwegs sein, sonst hätten sie mich schon längst überrunden müssen. Ok,… bei Hara änderte sich das kurz nachdem ich den Gedanken zu Ende gedacht hatte, da er gemeinsam mit einem anderen Japaner in einem Affenzahn an mir vorbeizog und somit schon mehr als sechs Kilometer Vorsprung vor mir hatte. Nichtsdestotrotz war es jetzt mein wichtigstes Ziel, einfach wieder Konstanz in mein Rennen reinzubekommen, denn es war noch extrem lang Zeit und jeder, der schonmal bei einem 24-h-Lauf zugeschaut hat, weiß wie schnell sich das ganze Gesamtklassement ändern kann. Dementsprechend war jetzt, eingangs der Nachtstunden einfach Geduld gefragt. Für den Fall, dass sich die Chance auftut, wollte ich auf jeden Fall gerüstet sein. Irgendwann nach Mitternacht fiel dann die Fluchtlichtanlage im Stadion vorrübergehend aus und sogar ein Feuerwehreinsatz war auf Grund eines Brandes erforderlich. Eigentlich war das jetzt aber auch eine ganz nette Stimmung im Stadion, da die Betreuer und Fans nun ihrer Taschenlampen zückten, um die Strecke durch das Stadion auszuleuchten. Unsere Betreuercrew hatte es jetzt allerdings nicht einfach, zu erkennen, wer im „Anflug“ ist. Die Jungs und Mädels hatten das Problem aber professionell gelöst, in dem sie uns Läufer per Funkgerät vom Stadioneingang am Deutschen Pavillon ankündigten. Außerdem hab ich das sonst übliche „Flo kommt“ einfach selbst übernommen. Bis etwa 2:00 Uhr in der Nacht und somit acht Stunden vor dem Ende, war ich sehr lange auf dem vierten Gesamtrang platziert, bevor das Rennen richtig an Dramatik aufnahm und es Schlag auf Schlag ging. Praktisch zeitgleich bekamen sowohl Ivan Cudin, als auch der Russe Vadim Sharkov große Probleme, so dass ich auf den zweiten Platz vorrutschen konnte. Nun war es die Frage, ob es eher Sinn macht den zweiten Platz abzusichern oder ob vielleicht doch noch etwas nach vorne zu Hara Yoshikazu möglich ist. In dieser Phase war unser Teamchef Ralf Weis ziemlich wichtig, da ich mich abseits vom deutschen Pavillon so deutlich besser abstimmen konnte. In der „Boxengasse“ ist es mit der Kommunikation meist nicht ganz so einfach, da hier die Betreuercrews der jeweiligen Nationen eng beieinander stehen. Genau in der Runde, als Ralf eigentlich die Rundenzeiten von uns beiden Führenden vergleichen wollte, erhielt ich am Deutschen Pavillon die Info, dass Hara sitzt. Zuerst habe ich mir dabei eigentlich auch gar nichts groß gedacht, da er sich auch vorher schonmal sehr lange gedehnt hat. Interessant an der Stelle auch, dass sich der deutsche Verpflegungsstand direkt neben dem der Japaner befand. Eine Runde später erhielt ich die Info „Hara sitzt immer noch“ und noch eine weitere Runde später hieß es sogar „Hara liegt“. Jetzt war ich eigentlich in dem Glauben, dass ich das Rennen führe und dass mit Hara an diesem Tag nicht mehr zu rechnen ist. Dementsprechend interessierte mich eigentlich mehr, was hinter mir los ist. Mir wurden drei oder vier Läufer genannt, aber ich konnte mir nicht einen Namen, geschweige denn eine Startnummer merken. Draußen auf der Strecke schloss dann der Australier Matthew Eckford in sehr hoher Geschwindigkeit auf mich auf, so dass ich mir gut hab vorstellen können, dass dies einer der drei oder vier Verfolger ist. Dementsprechend beschloss ich erstmal an ihm dranzubleiben, bis ich mehr Klarheit habe. Die Rennsituation war in der jetzigen Phase tatsächlich sehr unübersichtlich. Kaum um die nächste Kurve gebogen, traute ich meinen Augen kaum – Hara war wieder zurück auf der Strecke und das sogar im Laufschritt. Ohne mich umzudrehen, spürte ich, dass er mir folgte und so lagen wir quasi gleichauf in Führung. Ich bin ein absoluter Bewunderer der japanischen Läufer, schon seit meinem ersten WM-Einsatz 2010 in Brieve. Damals war es Shingo Inoue, der mit einem unglaublichen Kampfgeist seine Führung verteidigte, obwohl Scott Jurek ihn über Stunden unter Druck setzte. Genau diese japanische Mentalität, die ich so bewundere, ging mir jetzt nicht mehr aus dem Kopf. Mir war klar, dass sich das Blatt erneut drehen kann, für den Fall dass Hara wieder eine realistische Chance auf den Titel sieht. Ich wusste auch, dass die Zeit für ihn läuft, da er auf Grund seiner Fähigkeiten auf den Unterdistanzen im Falle eines Zweikampfs in der Schlussphase überlegen sein sollte. Dementsprechend beschloss ich, drei oder vier schnellere Runden einzustreuen. Am Pendelstück vor dem Wendepunkt konnte ich beobachten, wie ich schnell meinen Abstand vergrößern konnte, lediglich der Australier hielt den Rückstand zu mir konstant. Zwei oder drei Runden später hatte Hara dann endgültig die Segel gestrichen und auch mein Abstand zum Zweiten war mit etwa vier Kilometern schon recht komfortabel. Dementsprechend beschloss ich, mich nach der aufregenden Phase erstmal wieder zu sammeln und drosselte wieder die Pace. Nichtsdestotrotz wuchs mein Vorsprung auf phasenweise 7 Kilometer an. Eigentlich wusste ich, dass ich es jetzt, wo nur noch vier Stunden zu gehen waren, nichts mehr schief gehen kann, wenn ich keinen Totaleinbruch erleben sollte. Trotzdem traute ich den Braten noch lange nicht, da mittlerweile eine ganze Vielzahl von Läufern, hinter dem nun extrem abbauenden Australier in Lauerstellung lagen. Allerdings fühlte ich mich jetzt, vor allem muskulär, auch schon kaputt ohne Ende. Zum Glück war mein Vorsprung so komfortabel, dass ich mir in der Endphase zwei Pausen bei unserem Teamphysio Gerald Mexner leisten konnte (siehe Video).

Die Kilometerzahl war mir mittlerweile auch völlig egal – mir ging es nur noch darum das Kind irgendwie kontrolliert nach Hause zu schaukeln. Neutral betrachtet wusste ich, dass mir den Sieg keiner mehr nehmen konnte, trotzdem hatte ich – jetzt wo ich so nah an meinem großen Traum dran war – eine Heidenangst, das Ding doch noch zu verspielen. Erst eine halbe Stunde vor Schluss war ich mir sicher, dass mir den Sieg keiner mehr nehmen kann, es sei denn die Zwischenstände sind komplett falsch. Da die Kilometerzahl, wie gesagt, schon längstens egal war und man nicht jeden Tag Weltmeister wird, beschloss ich, die letzten beiden Runden durch Gehpausen so zu drosseln, dass ich zur Schlusssirene durch das Stadion laufe und diesen Moment mit meinem Team und meiner Familie erleben kann. Besonders gefreut hat es mich, dass ich die letzten Runden gemeinsam mit meinem Nationalteam-Kollegen Michael Vanicek bestreiten konnte. Ganz davon abgesehen hat er für mich auch die Rechnerei übernommen, da ich das in meinem Zustand nicht mehr gebacken bekam. Die letzte Runde durch das Stadion war einfach nur phänomenal! Die Freude war riesig, auch wenn ich das Ganze in dem Moment noch gar nicht realisieren konnte. Ich denke das nachfolgende Video spricht für sich ;).

DANKE an alle, die mich bei der Verwirklichung meines Traums unterstützt haben!

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