Mein nunmehr fünfter Start im Nationaltrikot bei einer 24h-Weltmeisterschaft. Diese WM war jedoch etwas „anders“, denn solch ein Chaos hinsichtlich der elektronischen Rundenerfassung habe ich bislang noch bei keinem anderen Lauf erlebt. Anders waren auch ganz sicher die Vorzeichen für meinen Einsatz in Belfast gesetzt. Zum einen war es eine neue Situation, als Titelverteidiger mit den entsprechenden Erwartungen ins Rennen zu gehen und zum anderen, da diese WM für mich schon so etwas wie ein geplantes Comeback darstellen sollte. Das Jahr 2016 ist aus gesundheitlicher Sicht nicht gut für mich verlaufen. Nach vielen verletzungsfreien Jahren hat es mich doch auch mal erwischt und so musste ich große Teile der Saison abhaken. Als ich gerade wieder auf dem aufsteigenden Ast war und Ende des Jahres noch eine Last-Minute-Leistung abliefern wollte, um mit einem nicht ganz einfachen Jahr Frieden zu schließen, hat mich dann eine Erkältung beim 24h-Lauf in Taipeh ausgebremst. Diese Erfahrungen haben etwas verändert mit mir: Während ich mich jahrelang mit einer extrem breiten Brust an die Startlinie gestellt habe, nach dem Motto „scheißegal was passiert, ich und mein Körper werden es schon irgendwie meistern“, war dieses Vertrauen in die eigene Unverwundbarkeit vor dem Start in Nordirland in dieser Form nicht mehr da. Stattdessen war schon der ein oder andere Zweifel präsent. Dummerweise habe ich mich die Tage vor dem großen Rennen auch irgendwie gar nicht wohl gefühlt und Bauch- und Rückenbeschwerden haben die Zweifel auch nicht gerade weniger werden lassen.
Dementsprechend war ich heilfroh, als es endlich losging! Die Bedingungen waren nahezu optimal, brettebener 2-Kilometer-Kurs durch den Victoriapark, bei kühlen Temperaturen. Mir persönlich war das Wetter schon fast einen Ticken zu kühl, da das Ganze in Kombination mit der hohen Luftfeuchtigkeit muskulär oftmals nicht ganz so angenehm ist. Mein Plan war es wieder, die ersten 50 Kilometer in 4:48 min/km anzulaufen, was eine Durchgangszeit von vier Stunden bedeutet. Zu meiner Überraschung wurde es zu Beginn nicht das erwartet schnelle Rennen und insbesondere die Topfavoriten haben sich doch noch sehr zurückgehalten. Na gut, sollte mich nicht weiter tangieren, ich hatte einen Plan und den galt es weiter abzuarbeiten. Bis zum Ende des ersten Viertels blieb ich das weiterhin, um dann ein wenig von meinen Notizen auf dem Spickzettel abzuweichen. Dies hatte zwei Gründe, zum einen fühlte es sich heute irgendwie nicht so wirklich locker an und die Beine waren doch schon schwerer, als ich mir dies für diese Phase des Rennens gewünscht hatte. Zum anderen bekam ich doch mehr und mehr Probleme im Bereich des linken Hüftbeugers, bzw. der Aduktoren. In den ersten Stunden des Wettkampfs bin ich meist eisern Ideallinie gelaufen. Da die Innenbahn der Laufstrecke, welche wir gegen den Uhrzeigersinn laufen mussten, zum Teil ganz leicht abschüssig war, könnte ich mir vorstellen, dass dieses Problem aus dieser Tatsache resultierte. Um die Probleme nicht zu verschlimmern, lies ich mich im Schnelldurchlauf bei unserer Physiotherapeutin Annett behandeln. Zum Glück sollte das Problem im weiteren Rennverlauf keine leistungslimitierenden Auswirkungen haben.
Als es langsam in die Nacht ging, lief ich ganz oft mit meinen Nationalmannschaftskameraden Stu Thoms zusammen. In den ersten Stunden hatte ich Stu immer wieder mal überrundet. Nun war ich mit fortgeschrittener Dauer langsamer, Stu jedoch immer noch recht gleichmäßig unterwegs, so dass die Pace doch recht ähnlich war. So haben wir uns gegenseitig unterstützen können, und nachdem wir schon beim Vorbereitungstrainingslager in Wuppertal zusammen eine lange Einheit bestritten haben, war das motivierend.
Ein wichtiges Etappenziel im 24h-Lauf ist immer die Halbzeitmarke nach zwölf Stunden. Durch den bis dato nicht ganz planmäßigen Rennverlauf hatte ich ein klein wenig den Überblick verloren und war doch sehr auf die Zwischenergebnisse gespannt. Von nun an nahm das Chaos seinen Lauf! Zuerst war ich doch schon sehr verwundert und angefressen, warum unser Betreuerteam einfach nicht die 12h-Ergebnisse mitteilte. Die Antwort für diesen Umstand ist relativ leicht zu beantworten – es gab keine Zwischenergebnisse. Das war ärgerlich, da die Kilometerleistung nach 12 Stunden immer eine wichtige Orientierung für mich ist. Ich hatte auch schon seit einer ganzen Weile aufgehört, meine Rundenzeiten zu stoppen und meine Uhr abgelegt. Das mache ich häufig, wenn sich eine Krise anbahnt, aus psychologisch-strategischen Gründen. Vom Gefühl her konnte ich auch nicht sagen, ob ich schon irgendwas um die 142,143 Kilometer oder nur 137 Kilometer auf dem Tacho hatte. In jedem anderen Rennen wäre mir diese Einschätzung wohl besser gelungen, aber heute war ich einfach zu ungleichmäßig unterwegs. Im 24h-Lauf ist es enorm wichtig, die Dinge so zu akzeptieren, wie sie sind, also habe ich mich nach ein wenig Fluchen mit der Situation arrangiert und bin davon ausgegangen, dass die technischen Probleme des Veranstalters sicher bald gelöst sein werden.
Einen richtigen Rythmus habe ich auch weiterhin nicht in meine Lauferei reinbekommen. Auch mental war das bislang nicht das, was ich eigentlich von mir gewohnt bin. Dieses stoische Durchziehen hat sich irgendwie einfach nicht einstellen wollen. Stattdessen war ich viel zu viel mit Nachdenken beschäftigt. Das muss wieder besser werden! 😉 Die Zeit ging naturgemäß dennoch irgendwie rum und so steuerte das Rennen so langsam aber sicher auf das letzte Viertel und ich auf eine heftige Krise zu. Geist und Körper waren nun doch sehr angeknockt. Noch dazu gingen mir die fehlenden Informationen so langsam aber sicher richtig auf den Zeiger, wo es doch jetzt ans Eingemachte geht, was die Platzierungen betrifft. Egal ob bei den WMs in Katowice, Steenbergen und Turin oder auch bei meinen Spartathlons, jedes Mal waren die Informationen über die Abstände immens wichtig. Diese Informationen sind für mich immer so etwas wie der Strohhalm an den ich mich klammere und wenn ich dann noch den Hauch einer Chance sehe, kann ich nochmal brutal reinhauen. So war es zumindest oftmals bei den aufgezählten Rennen, heute musste es so gelingen und immerhin, es waren ja gleiche Bedingungen für alle. Wirklich gut gelungen ist es mir in dieser Phase des Rennens jedoch nicht. Einige Wochen nach der WM habe ich von unserem Teamchef Norbert Madry erfahren, dass von den Läufern, welche nach 18 Stunden vor mir lagen, lediglich der Pole Sebastian Białobrzeski auch in der Endabrechnung vor mir gelandet ist. Die anderen drei bis fünf Läufer sind stattdessen ärgerlich. Man, man, man… da wäre schon auch noch mehr drin gewesen, rückblickend betrachtet. Nach der kurzen, aber heftigen Krise bin ich fünf Stunden vor Schluss dafür nochmal richtig aufgewacht. Vage Informationen unserer Betreuer machten mir Hoffnung, doch noch eine Medaille mit nach Hause zu nehmen und den Infos nach wäre auch die erfolgreiche Titelverteidigung noch möglich gewesen. Wie aus dem nichts war ich plötzlich wieder richtig präsent, die Gedanken klar und die Emotionen auf Angriff justiert! Jetzt war es wieder da, dieses WM-Feeling, wenn es richtig ans Eingemachte geht. Da die offiziellen Informationen weiterhin sehr spärlich waren, hat unser Betreuerteam von den Läufern, welche augenscheinlich noch um die Medaillen kämpfen, die jeweiligen Rundenzeiten gestoppt und mir diese mit Hilfe von Notizzetteln mitgeteilt. Das hat mir nun schon sehr geholfen. Irgendwann sind dann der spätere Sieger Yoshihiko Ishikawa (Japan) und auch Johan Steene (Schweden) ziemlich zügig an mir vorbeigelaufen, um mich ein weiteres Mal zu überrunden. In dem Moment war mir klar, dass es mit dem Titel dieses Jahr definitiv nix mehr wird. Aus dem Konzept hat mich dies jedoch nicht gebracht, da dies auch nicht mein erklärtes Ziel war, stattdessen wollte ich jetzt zumindest noch für eine Einzelmedaille kämpfen. Meinen Informationen nach müsste ich dazu jetzt „nur“ noch den Ungarn Tamas Rudolf abfangen, welcher wenige Kilometer vor mir lag. Noch gut vier Stunden Zeit, das muss doch zu schaffen sein! Und tatsächlich ziemlich genau drei Stunden vor dem Ende konnte ich ihn überholen. Auf Grund des Informationsdefizits war ich mir lediglich unsicher, ob ich jetzt schon vor ihm bin oder eben nur in der selben Runde. Die Überlegungen haben sich aber ganz schnell erledigt, denn beim Durchlaufen der Boxengasse wurde mir mitgeteilt, dass doch noch ein stark laufender Pole, nämlich der vorhin schonmal erwähnte Sebastian, vor mir liegt. In dem Moment habe ich für mich die Gewissheit gehabt, dass die Messe in Sachen Medaillenvergabe für mich gelesen ist. Es war jetzt wie wenn jemand mal einfach so den Motivationsstecker zieht und den imaginären Adrenalinhahn gleich mit zu dreht. Es war so ein hartes Rennen, jetzt noch mal mit aller Konsequenz um Rang vier, fünf oder sechs kämpfen, dafür fehlte mir nun wirklich die Energie. Dementsprechend lief ich das Rennen in den letzten 1,5 Stunden noch ordentlich zu Ende – mehr aber auch nicht. Letztendlich finde ich meinen Namen mit knapp 259 gelaufenen Kilometern und Platz 6 in der Ergebnisliste wieder.
Ich bin zufrieden. Nein – ich bin sogar sehr zufrieden, auch mit etwas Abstand zum Rennen. Ich muss zufrieden sein. Klar, die Erwartungshaltung „von außen“ war schon hoch, doch ich weiß selbst, dass es im 24h-Lauf keinen Bonus gibt – egal, was man auch immer für „Heldentaten“ schon in der eigenen Vita stehen hat. Mit Platz 6 habe ich mein Ziel, eine solide Leistung abzuliefern auf jeden Fall erreicht und mich nebenbei auch nach einem Jahr Abstinzenz wieder auf die Führungsposition der Deutschen Jahresbestenliste zurückgeschoben. DANKE an alle die dabei waren und auch an diejenigen, die von zu Hause aus mitgefiebert haben!
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