Im November letzten Jahres hat es begonnen –das Training für die WM/EM im 24h-Lauf. Viele Wochen und Monate sind
Foto: Heiko Krause
seitdem ins Land gezogen. Viele Wochen mit vielen Trainingskilometern, durch den langen Winter bedingt, bei zum Teil sehr unangenehmen Temperaturen. Außerdem gab es auch schöne lange Einheiten, wie z.B. die 75 Kilometer durch das Mittelrheintal, die „Flucht“ vor den Birkenpollen in den Hochtaunus und die beiden Aufbauwettkämpfe in Würzburg und Hannover. So oder so ähnlich sehen gerade meine Gedanken aus, wenn ich den Lauf von Steenbergen, den Wettkampf, Revue passieren lasse. Die Momente, die in Erinnerung bleiben, sind meist nicht nur aus dem erfolgreichen Wettkampf, sondern das, was hängen bleibt, ist oft vor allem der Weg dort hin. Apropos der „Weg dort hin“: Nie zuvor war ich mir im Vorfeld des Wettkampfes hinsichtlich meiner Taktik so unsicher. Die letzten drei 24-Stundenläufe konnte ich in einem nahezu gleichmäßigen Tempo absolvieren. Nachdem ich ja in Katowice schon über 260km gelaufen bin war mir klar, dass es sehr schwer wird, nur acht Monate später mich nochmal deutlich zu steigern. Auf der anderen Seite wusste ich, dass eine etwa gleiche Distanz auch in diesem Jahr voraussichtlich nicht für den obersten Platz in der WM-Wertung reichen wird. Der für die Wettkampftage angekündigte Wind tat sein Übriges, dass ich meine Pläne in stündlichen Abständen über den Haufen warf. Letztendlich war dann doch der Plan in den ersten zwölf Stunden 136km anzugehen. Allerdings legte ich mir selbst die Bedingung auf, bei zu starkem Wind etwas Tempo rauszunehmen. Tatsächlich empfing uns am Start, um 12:00 eine recht steife Brise, was auf Grund der Nähe zur Nordsee auch nicht sonderlich verwundern soll. Durch den Wind fiel es mir in der Anfangsphase recht schwer, einen gleichmäßigen Rhythmus zu finden. Ständig musste man sein Tempo auf der 2,3km langen Runde, der Windrichtung anpassen. Eine so kurze Runde hat es natürlich an sich, dass sich Rückenwind, bzw. Gegenwind ständig abwechseln. Gerade in den Gegenwindpassagen galt für mich die klare Order, keine Kräfte zu verpulvern. Dementsprechend langsam war ich auf diesen Abschnitten unterwegs. Allgemein fühlte ich mich in den ersten sechs Stunden nicht so richtig wohl. Irgendwie hatte ich ständig das Bedürfnis, schneller laufen zu wollen, während ich mein aktuelles Tempo als unangenehm empfand. So überkamen mich sogar ernsthafte Zweifel, ob ich denn im Training zu wenig im 24h-Tempo trainiert hätte. Als sehr positiv empfand ich die Tatsache, dass selbst in den Abendstunden immer noch einige Zuschauer an der Strecke verweilten, um uns Läufer anzufeuern. Allgemein nahm ich die Niederländer als sehr interessiert und begeisterungsfähig wahr. Auch die Veranstaltung selbst war sehr gut organisiert. Lediglich die Tatsache, dass sich der offizielle Versorgungsstand unmittelbar vor der Versorgungszone der Nationalteams befand, war für mich etwas unvorteilhaft. Zweimal hatte ich in der Anfangsphase die Verpflegung bei unseren Betreuern verpasst, da es aber immer mein oberstes Ziel ist, nie stehen zu bleiben und sich der offizielle Verpflegungstand, wie erwähnt bereits vor der Privatversorgung befand, musste ich jeweils fast fünf Kilometer auf dem Trockenen laufen. So langsam aber sicher ging es dann in die Nacht. Erfahrungsgemäß ist dies auf Grund der defensiven Renntaktik meine stärkste Phase, doch diesmal kam alles anders: Irgendwann in den späten Abendstunden begann es zu regnen, was ja eigentlich auch kein allzu großes Problem darstellen sollte. Das Problem war nur, dass es einfach nicht mehr aufhörte und in unregelmäßigen Abständen immer wieder sintflutartige Schauer niedergingen. Die obligatorischen Sturmböen legten sich auch nicht – und zwischendurch war das Ganze sogar mit Hagel garniert. Viele Läufer mussten in dieser Phase das Rennen beenden. Auch ich bin jetzt zum ersten Mal seit der WM 2010 in Brive innerhalb eines 24ers in ernsthafte Schwierigkeiten gekommen. Eigentlich laufe ich solche Wettkämpfe immer komplett in kurzer Hose, da das Umziehen einfach zu viel Zeit kostet. Diesmal hatte ich es aber einfach nicht mehr ausgehalten vor Kälte und so musste ich doch einen Boxenstop einlegen, um mir eine lange Hose anzuziehen. Auch wenn ich danach kurzzeitig wieder etwas flotter unterwegs war, hatte ich mich ziemlich müde und kraftlos gefühlt. Auf Grund der Nässe und der Kälte hatte ich vor allem muskuläre Probleme in den Beinen. So beschloss ich eine Stunde später doch nochmal bei unserem Physio vorstellig zu werden. Die etwa 7-minütige Pause kam mir wie eine Ewigkeit vor, doch konnte ich die Zeit nutzen, um mich ein wenig zu verpflegen und vor allem über die aktuellen Zwischenstände zu informieren. Die Information, dass ich trotz der zwei Pausen in der WM-Wertung auf dem siebten Rang lag und in der EM-Wertung der Rückstand mit gut sieben Kilometern zwar recht groß, aber nicht unmöglich aufzuholen war, löste bei mir so etwas wie eine Initialzündung aus. Mit gelockerter Muskulatur ging es hochmotiviert zurück auf die Strecke. An dieser Stelle gilt mein Dank unserem Team-Physio Gerald Mexner! Zwei Probleme gab es dann aber kurz darauf doch noch. Zum einen sind mir innerhalb der nächsten Runden ständig die Augen im Laufen zugefallen und zum anderen musste ich auf Grund der Nässe und der Kälte fast jede Runde eine Pinkelpause einlegen. Im Laufe der Morgenstunden haben sich diese Probleme dann aber auch erledigt und so konnte die Aufholjagd beginnen. Da man nach so vielen harten Stunden nicht mehr so richtig aufnahmefähig ist, habe ich unser Team gebeten, mir lediglich jede Runde den Rückstand auf den führenden der EM-Wertung, Anatholy Kruglicov, durchzugeben. Außerdem wollte ich jetzt nach all den Strapazen unbedingt meinen EM-Titel vom letzten Jahr erfolgreich verteidigen. Dieses Unterfangen sollte aber noch ein langes Geduldspiel werden. Immer wenn der Abstand rapide geschrumpft ist, gab es doch wieder eine Phase, in der der Rückstand relativ konstant blieb. Nach 21:45 Stunden war es dann aber endlich soweit, und ich konnte in der EM-Wertung in Führung gehen. Eigentlich war die Messe jetzt gelesen: nach vorne war der Abstand eigentlich zu groß um noch ernsthaft um die ersten beiden Plätze in der WM mitzukämpfen und nach hinten konnte bei konstantem Tempo auch nicht mehr allzu viel anbrennen. Von der letzten WM in Katowice’12 weiß ich, dass sich genau diese Phasen mit solch einer Rennsituation wie Kaugummi ziehen können. Deshalb habe ich mir gerade jetzt vorgenommen, die Euphorie zurückzuhalten und stattdessen Konzentration und Spannung aufrechtzuhalten. In den letzten zwei Stunden hat sich die Strecke wieder zunehmend mit Zuschauern gefüllt. Auch wenn ich normalerweise immer bis zur Schlusssirene durchlaufe, habe ich etwa eine Stunde vor Schluss schon mal vorsichtig bei unserer Crew angekündigt, dass ich es mir heute gönnen werde, mein Tempo nach all den Strapazen in der Nacht so zu drosseln, dass ich kurz vor der Schlusssirene bei unserer deutschen Betreuerbox zum Stehen kommen werde. Knapp 15 Minuten vor dem Ende bin ich dann auf meinem Teamkameraden Michael Hilzinger, der leider auf Grund von Magenproblemen seine eigenen Ziele nicht erreichen konnte, aufgelaufen. Wir beschlossen, die letzte Runde gemeinsam zu bestreiten und auch ein Stück weit zu genießen. Ein absolutes Highlight war es, zum letzten Mal die Startgerade, wo sich die meisten Zuschauer befanden, zu durchlaufen. Ausgerüstet mit zwei Deutschlandfahnen ließen wir uns alle Zeit der Welt, um uns bei den Zuschauern zu verabschieden. Etwa drei Minuten vor dem Ende waren wir bei unseren Betreuern angekommen. Eigentlich wollte ich hier stehen bleiben, doch da in der Mannschaftswertung noch nicht alles in „trockenen Tüchern“ gewesen war, trieb mich unser Teamchef Ralf an, doch noch ein paar Restmeter zu laufen und so trabte ich doch noch etwas weiter, bis ich etwa eine halbe Minute vor Schluss gemeinsam mit Michael tatsächlich stehen geblieben bin. Der positive Eindruck, den ich von den Anwohnern an der Strecke gewonnen habe, bestätigt sich auch anhand dieser Anekdote: An der Stelle, an der wir unser Rennen beendeten, befand sich direkt vor einem Einfamilienhaus eine urgemütliche Gartenbank. Um uns in der Zeit des Wartens auf den Vermesser der Restmeter nicht auf den Boden setzen zu müssen, fragten wir ob es möglich wäre, es uns auf der Bank gemütlich zu machen. Im „Gegenzug“ nutzten die Bewohner die Gelegenheit, Fotos von uns und unseren Fahnen zu machen. Die Gastfreundschaft ging sogar soweit, dass wir mit Kaffee bekocht worden sind! So saßen wir nun – wie bei einem kleinen Familientreffen – mit einigen von unseren Betreuern und meinen Eltern, die extra nach Steenbergen gekommen waren, mit der Kaffeetasse in der Hand auf der Terrasse. Vielen Dank für diesen Service! Letztendlich freue ich mich nach all den Zweifeln in der Nacht riesig über den ersten Platz in Europa und den dritten Platz in der Welt. Ein kleiner Wehrmutstropfen ist lediglich die Tatsache, dass ich mit 259,939km denkbar knapp an der begehrten 260km-Marke vorbeigeschrammt bin. Hätte ich gewusst, dass das so knapp ist, hätte ich die gerade einmal 61 Meter auch noch hinbekommen. Ist aber halb so wild, im letzten Jahr hatte ich diese Marke ja schon einmal überschritten. Im Gegensatz zur letzten WM/EM gab es diesmal auch eine würdige Siegerehrung, die mein Kreislauf auch überraschend gut durchgehalten hat. Mein Dank gilt wie immer in erster Linie meiner Freundin Nicole, die mich auch diesmal vorzüglich während des Rennens mit meiner Verpflegung versorgt hat. Aber auch alle anderen Crew-Mitglieder, vom Teamchef bis zum Physio, haben ihren Teil zu meinem erfolgreichen Abschneiden beigetragen. Bei solch einem grauenvollen Wetter wie in dieser Nacht ist die Unterstützung durch die Betreuer gar nicht hoch genug anzurechnen!
Wieder eine Runde näher am großen Ziel
Mission Titelverteidigung erfolgreich!
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